Samstag, 3. Mai 2014

[Rezension] Die Reisende Kaiserin

Nachdem ich mich schon eine gewisse Zeit mit dem vergangenen DSA beschäftigt hatte, wollte ich als Kontrapunkt, und um eventuell einen Bogen erkennen zu können, auch mal ein neueres Werk anschauen. Die Reisende Kaiserin von Jens Ullrich habe ich nach keinem besonderen Schema ausgesucht -- allein der Name reichte schon, mein Interesse zu wecken, und ein Hintergrundband schien mir auch eine bessere Wahl zu sein als irgendein Abenteuer -- immerhin wird hier aventurische Geschichte über längere Zeiträume hinweg betrachtet.

Das Buch selbst ist schnell beschrieben: 128 Seiten, Fadenbindung, Hardcover, innen schwarz/weiss.

Grob gliedert sich das Buch in fünf Abschnitte: Eine (aventurisch eingefärbte) Beschreibung des Reisekaisertums, einige beispielhafte Pfalzen, wichtige Personen am kaiserlichen Hof, der Hoftag von Ragath so wie verschiedenen Meisterinformationen im Anhang.

Der erste Abschnitt des Buches über das Reisekaisertum hat streckenweise den Anruch einer Studienarbeit -- tatsächlich kann man auch einem Interview mit dem Autor entnehmen, dass er eine entsprechende Magisterarbeit geschrieben hat. Hier kommt das ganze natürlich mit einem Haufen aventurischer Begrifflichkeiten und Eigenheiten und wenn man wie ich die aventurische Geschichte und ihre Personen nicht gut kennt, kann es manchmal etwas schwierig sein, bestimmte Anmerkungen zu verstehen. Zum Glück gibt es die Wiki Aventurica, mit deren Hilfe ich fast alle Wissenslücken schliessen konnte.

Die verschiedenen beschriebenen Pfalzen haben mir sehr gut gefallen -- hier handelt es sich wirklich um verschiedene Punkte auf der Reiseroute des kaiserlichen Hofes, die alle ihren eigenen Charme (oder ihre eigene Abgründigkeit) aufweisen. An der einen oder anderen Stelle haben sich hier ganz allein von der Beschreibung Abenteueransätze aufgedeckt, sei es der das ehemalige Lustschloss bedrängende Reichsforst oder die nach einer Schlacht verlassene Zwergenbinge die mit Gerüchten um Schätze und Monster in den Untiefen immer wieder Abenteurer anlockt ...

Der Abschnitt mit den Persönlichkeiten am Hofe war etwas durchwachsen. Teilweise spürte ich hier die aventurische Spießigkeit, sei es bei den Seelentieren, oder bei den seltsam anmutenden Teilskizzen der Charaktere: Nur "besondere Attribute" werden genannt; dabei gibt es doch eh nur sechs (oder sieben?). Auf der anderen Seite gabe es auch ein paar nette offene Stellen, wo Spielercharaktere Helden gleichauf mit wichtigen NSCs Meisterfiguren am Hofe agieren können. Meine persönlichen Highlight waren die drei Prinzen ohne Land und die offenen Positionen der Hofkaplane; die ersten sind ziemlich nah am Musketier-Muster, und bei der zweiten Gruppe gibt es einen Haufen Möglichkeiten sich selbst einzubringen; sei es um die nicht beschriebenen Stellen zu besetzen oder im Umfeld des jeweiligen Geweihtenbetriebes.

Der Hoftag von Ragath schliesst den Band (bis auf die Anmerkungen im Anhang) ab und skizziert eine ganze Reihe von Ereignissen -- ein Krönungsritual, eine Schwertweihe (aventurisch Schwertleite), ein Turnier, einen Ball, ein Unglück, politische Verwicklungen, und so weiter ... Das ganze schwebt irgendwo zwischen ingame-Fiktion und Abentuer; beginnt dieser Teil doch mit geschlagenen acht Seiten Spielweltbrieffragmenten. Zuerst hatte mich das etwas befremdet, doch dann gefiel mir, dass die eigentliche Beschreibung des Hoftages mit den verschiedenen Einschüben die beschreiben wie man Spielercharaktere einbinden kann, von diesen Kursivtexten weitgehend befreit blieb. Auf gewisse Weise liegen hier also fünf Tage Reisekaisertum vor, mit Beispielen wie dieser auf drei verschiedenen Standesebenen ankommt, und mit Möglichkeiten Abenteuer zu erleben. Einziger Wermutstropfen ist natürlich, dass der allgemeine Ausgang dieses Hoftages sich nicht verändern kann, weil die aventurische Geschichte durch ihn fortgeschreieben wird.

Im Anhang sammeln sich dann noch einige Geheimnisse um Meisterfiguren und Pfalzen, Werte für kaiserliche Panthergarde, ein paar Taugenichtse und Gegenspieler sowie ein gutes Dutzend NSCs zum Selberbespielen für die Spielleiter Meister, allesamt unter dem Visibili (das musste ich erst nachfragen; diese NSC sind gesondert ausgezeichnet damit man weiss, dass sie in der offiziellen Geschichte Aventuriens nicht weiter verwendet werden, und man sie einfach benutzen kann wie man will).

Ist der Band seine 30 Euro inclusive PDF wert, zumal für einen Nicht-Aventurien-Spieler? Vielleicht! Ich habe ihn jedenfalls ganz gerne gelesen (auch wenn das miserable Lektorat mir --  vielleicht wegen der eigentlichen Qualität des Textes -- häufiger als erwartet ins Auge gestochen ist) und ich habe so einige Ideen entwickeln können, die mein Spiel hoffentlich bereichern können. Ob die oben erwähnte Magisterarbeit oder anderes "echtes" historisches Material genauso gut dafür hätten hinhalten können, vermag ich nicht zu beurteilen, aber wenn ich im #tanelorn manchmal  die Abenteuer- und Kampagnenideen von Belchion auf Basis irdischer Geschichte lese denke, das könnte eigentlich reichen.

Jedenfalls hat Aventurien mit dem Reisekaisertum eine Eigenheit die ich so noch nicht in anderen Fantasywelten gesehen habe, die bestimmte Arten von Roadtrip oder Sightseeing Kampagnen erlaubt, und das auch noch nahe am (wandernden) Zentrum der Macht. Mein Gesamturteil lautet: Brauchbar, teils mit wirklich neuen Inhalten, teils sehr aventurisiert.

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